Am 21.6.2017 kam es zu einer Verhandlung am Landgericht in Stuttgart. In einem sieben Stunden dauernden Verfahren musste geklärt werden, ob sich der DFG-VK Aktive Thomas H. des Hausfriedensbruches hat schuldig gemacht. In Stuttgart, so der Vorwurf der dortigen Staatsanwaltschaft, habe Thomas bei den Protesten gegen einen Bundeswehr-Rekrutierungsstand auf der Ausbildungsmesse „Nacht der Unternehmen“ in der Liederhalle am 17. November 2015 Unrecht begangen. In einem ersten Verfahren wurde er dafür vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt. Da es hier zu gravierenden Verfahrensfehlern kam und das sogenannte „Fraport-Urteil“ keine Würdigung erfuhr, kam es nach einigen juristischen Umwegen zum Prozess vor dem Landgericht.
Anders als noch das Amtsgericht würdigte das Landgericht auch das Fraport-Urteil. Das Landgericht räumte auch ein, dass die private Firma, die die städtische Liederhalle gemietet hatte, durchaus einer Grundrechtsbindung unterliegen könne. Dies ist relevant, weil dann das Hausrecht der Firma mit dem Demonstrationsrecht des Angeklagten abgewogen werden muss. Die Abwägung fiel jedoch nicht zu Thomas‘ Gunsten aus:
Die Liederhalle als Messeörtlichkeit erfülle erstens nicht die Rechtsfigur des „öffentlichen Forums“ – dies war beim Fraport-Urteil für den Frankfurter Flughafen wichtig, indem das Gericht den Flughafen mit einer kleinen Stadt verglich. Trotz des privatrechtlichen Charakters des Flughafens muss hier auch eine Meinungskundgabe möglich sein. Zudem sei allerdings zweitens die Form des Protestes durch den Angeklagten u.a. aufgrund des genutzten Megaphons, welches der Angeklagte allerdings nicht verwendete, für den Raum als Kundgebungsform nicht angemessen. Gerade diese Abwägung der Angemessenheit, und die Frage, ob nicht eine Kundgebung auch in einem „Dorf“ Liederhalle, um im Bild zu bleiben, ein öffentliches Forum darstellt, bietet Raum für Interpretation. Von einer gewonnenen Rechtssicherheit kann daher nicht die Rede sein, weil die grundlegende Frage, wie und wo auf einem solchen Messe demonstriert werden kann, nicht geklärt wurde.
Die Strafe des Amtsgerichtes von 600 Euro wurde für zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt, ein Umstand allerdings der psychologisch disziplinierend wirkt. Die nun angekündigte Revision am Oberlandesgericht, um das Recht auf Demonstration auch für andere zu verteidigen und zu stärken erfordert weiter viel Kraft für den Angeklagten – dafür braucht Thomas eure, auch materielle, Solidarität!
Das Solidaritätskonto ist: DFG-VK Stuttgart, IBAN: DE32 4306 0967 4006 1617 40, Verwendungszweck: „Prozesssoli Thomas“. Im Falle eines Freispruchs wird das Geld auf den Carl von Ossietzky Rechtshilfefonds der DFG-VK eingezahlt.
Hier schon mal die Rede von Thomas, die er während der Verhandlung vorgetragen hat:
Sehr geehrtes Gericht, Sehr geehrte Staatsanwaltschaft, liebe Anwesenden,
seit nun mehr 15 Monaten kämpfen nicht nur ich sondern meine Anwälte und Unterstützerinnen nun auch vor diesem Gericht über mein durch das Versammlungsrecht geschützte Recht auf Versammlung. Nur Dank der vielen UnterstützerInnen kann ich mir die gerichtliche Auseinandersetzung mit den bisherigen auch formalen Fehlern und zahlreichen rechtlichen Schritten finanziell überhaupt leisten. Für uns ist es schon ein Erfolg, dass ich durch eine Verfahrensrüge heute überhaupt vor dem Landgericht stehe, was auch durch die eingereichte Verfassungsbeschwerde erst ermöglicht wurde.
Auch heute sitzt wieder der Falsche auf der Anklagebank: Die KarriereberaterInnen der Bundeswehr, die ohne zu Zögern auch Minderjährige für den Beruf des Soldaten werben – allein letztes Jahr waren es 1907 Minderjährige und damit deren Leben aufs Spiel setzen, sollten hier sitzen. Oder aber die Messefirmen, die der Bundeswehr aus reiner Gewinnabsicht für ihre Werbemaßnahmen noch die attraktivsten Plätze zuweisen, wie zum Beispiel bei der Langen Nacht der Unternehmen Stuttgart am 17.11.2015 oder am 10.11.2016 in der städtischen Liederhalle. Jede Schülerin und jeder Schüler sah als erstes einen der größten Stände der Messe, den der Bundeswehr.
Die Bundeswehr hat nicht nur ein Image-Problem, sondern auch ein großes Personalnachwuchs-Problem. Von denen zur Zeit 185.000 Stellen der Bundeswehr sind nur 178.179 besetzt. Das es 7000 freie Stellen gibt, ist auch ein Erfolg von uns. Es vergeht keine Woche im Jahr, wo nicht irgendwo in der Republik eine Aktion von Friedensbewegten und AntimilitaristInnen gegen das Werben fürs Sterben in und vor Schulen oder Messen stattfindet. Das muss in einer Demokratie möglich sein und der Staat hat diese Proteste einer lebendigen Bürgerschaft nicht nur zu dulden sondern in gegebener Form sogar zu unterstützen. Ich hingegen erfahre eine mir zuvor nicht vorstellbare Kriminalisierung, indem selbst Stellen des Staatsschutzes beim LKA offensichtlich Akten gegen mich führen.
Die Stellen bei der Bundeswehr sollen auch noch bis 2024 auf 198.000 steigen. Dieser sogenannte Beruf ist kein normaler Beruf, Grundrechte werden eingeschränkt, Befehl und Gehorsam werden erwartet, Traumatisierung und Tod droht nicht nur den Soldaten sondern auch ihren gegenüber in den Kriegseinsätzen. Die Bundeswehr muss dafür millionenschwere Werbeetats auffahren, die demokratischen Widerstand sehr schwer werden lässt.
Auch der sogenannte Korps-Geist bei der Bundeswehr gehört zu dieser Institution. Schweigen und Vertuschen wie letztes Jahr bei den Aufnahme-Ekel-Ritualen in der Pfullendorfer Kaserne beweisen. Ein Zitat aus der Stuttgarter Zeitung: „Bei den besonders herabwürdigenden Praktiken bei der Sanitäterausbildung geht es ums Abtasten der nackten Brust, des unbekleideten Genitals ‚mit nicht behandschuhter Hand und anschließender Geruchsprobe‘, Öffnen der Gesäßbacken, Tamponierung des Afters und entwürdigende Bilddarstellungen. Zudem wurden den Lehrgangsteilnehmern fragwürdige Einverständniserklärungen abverlangt, sich als Übungs- und Anschauungsobjekt zur Verfügung zu stellen.
Die Frau Leutnant, die dies als frauenfeindlich gemeldet hatte und deswegen von anderen Ausbildern gemobbt wurde, sei aufgefordert worden, zur Aufnahme ins Ausbilderteam an einer Poledance-Stange zu tanzen. Auf ihre Meldung hin wurde die Stange am Tag danach – dem 29. Juli 2016 – aus dem Aufenthaltsraum entfernt.“ Dieser Skandal wurde auch durch einen Minderjährigen Soldaten erst dieses Jahr bekannt. Bundestagsabgeordnete des Verteidigungsausschusses erfuhren dies zu erst aus der Presse und nicht von der Ministerin – so viel zum Thema Kontrollmöglichkeiten durch das Parlament. Nun wurde der Fall auch noch von der Staatsanwaltschaft aus Mangel an Beweisen eingestellt – der Presse ist zu entnehmen, dass die Soldaten in Pfullendorf befragt wurden, und diese sagte, es war alles viel weniger schlimm als es in der Presse stand. Mit Verlaub hohes Gericht sitze ich nun für die Ausübung meines Grundrechtes auf der Anklagebank, aber dort wird die Anklage eingestellt? Ich bin mir gewiss, dass dieses Gericht diese Ungerechtigkeit zu berücksichtigen weiß.
Soldat sein ist kein Beruf – Töten lernen – und dazu dient die Ausbildung an Waffen, Kriegsgerät und Kriegslogistik – sollte genauso wie der Beruf des Henkers aussterben.
Jedes Jahr gehen 100.000te Schülerinnen und Schüler auf Bildungsmessen, was gut ist, denn so erfahren sie mehr über die Möglichkeiten ihrer zukünftigen Berufswelt.
Viele der Besucher sind zwischen 15 und 17 Jahre alt, schon aus kinderrechtlichen Aspekten wäre jede Messeleitung verpflichtet, die Bundeswehr als Aussteller abzulehnen. Nicht nur wir, auch das Deutsche Bündnis Kindersoldaten u.a. mit terre des hommes; der Kindernothilfe u.a….. setzt sich dafür ein, dass der Geist der UN-Kinderrechtskonversion auch in Deutschland eingehalten wird, die ein Werben für den Beruf des Soldaten an Kindern untersagt. Seit letzten Jahr fordert das auch parteiübergreifend die Kinderkommission – Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder des Bundestages. Aus einer aktuellen Anfrage an die Bundesregierung geht auch hervor, dass bei den Minderjährigen bei der Bundeswehr nicht einmal das Jugendarbeitsschutzgesetz eingehalten wird; letztes Jahr mussten wir das Verteidigungsministerium medienwirksam darauf hinweisen, dass beim Tag der Bundeswehr in Stetten gegen die eigenen Vorschriften verstoßen wurde, indem Kinder an Handfeuerwaffen spielen durften.
Das Recht zu demonstrieren ist ein wie alle Grundgesetze ein Schutzrecht gegenüber dem Staat, ein Schutzrecht, dass gerade auch von Erwachsenen wahrgenommen werden muss, um auch den manchmal fehlenden Staat, vor diesen zu warnen und kritisch aufzuklären, insbesondere in Hör- und Sichtweite etwa bei solchen Werbemessen.
Genau auf solchen Messen gehen die Werber des Militärs um, dort um junge Menschen, manche sprechen auch von „Kanonenfutter“ für die zur Zeit über 16 Kriegs- und Auslandseinsätze der Bundeswehr weltweit zu rekrutieren. Nach Angaben der Bundeswehr waren 2016 seit 1992 rechnerisch mehr als 380.000 Soldaten im Auslandseinsatz, tatsächlich werden es noch mehr gewesen sein. Das sind 380.000 zu viel, die, wie im Weißbuch 2006 beschrieben, der Bundeswehr auch die Wirtschaftsinteressen der Bundesrepublik weltweit mit Waffengewalt durchsetzen will.
Auslandseinsätze finden in fast allen Meinungsumfragen keine Mehrheit im Land und das ist gut so, doch anstatt die Politik zu ändern, werden Menschen die sich dagegen mit den Mitteln der Demokratie aussprechen kriminalisiert und vor Gericht gestellt.
Letztes Jahr erreichten die 425 KarriereberaterInnen der Armee etwa 400.000 Jugendliche. Dafür gab das Verteidigungsministerium allein 25,1 Millionen Euro an Personalkosten aus. Der offizielle Werbeetat für Nachwuchs der Bundeswehr lag im Jahr 2016 bei 34,08 Mio. Euro. Jeden Tag gibt die Bundeswehr mehr als 160.000 Euro für Nachwuchswerbung aus. Soviel muss kein Unternehmen für Nachwuchsgewinnung ausgeben und trotzdem hat die Bundeswehr etwa 7000 freie Stellen, Tendenz steigend. Kein Unternehmen verpflichtet seine ArbeitnehmerInnen mit solchen Knebelverträgen wie die Bundeswehr, wo es Verträge mit einer Laufzeit bis zu 25 Jahren gibt. Der Jugendliche oder dessen Eltern, der so einen Vertrag unterschreibt, verpflichtet sich auch noch für Auslandseinsätze von mindestens 12 Monaten. Der Soldat, der eher aus der Armee gehen will, muss meist eine Kriegsdienstverweigerung abgeben, von denen das Militär im ersten Halbjahr 2016 23 Prozent der Anträge ablehnte, außerdem verlangt die Armee die Ausbildungskosten zurück, dies können dann schon mal einige 10.000 Euro sein. In den letzten 2 Jahren nahm die Armee dadurch 5,7 Mio. Euro an Ausbildungsrückforderungen ein.
„Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst“ prangt es am Karrierestand der Bundeswehr, dieses Verfahren heute zeigt schon die Lüge dieses Spruches auf: Uns ginge es allen besser, wenn sie nicht kämpfen würde mit diesen Geldern. Dieses Jahr bekommt die Armee einen Haushalt in Höhe von 37 Mrd. €, nochmals 8% mehr wie 2016, davon könnten viele soziale Projekte im Land und in der Welt umgesetzt werden, dies würde auch nachhaltig den Terrorismus bekämpfen, anders als Waffenexporte und Auslandseinsätze, oder die Ausbildungen zu rechten Terroristen wie der Fall Franco A oder Uwe Mundlos zeigen.
Was wir brauchen sind zivile und friedensunterstützende Ausbildungsplätze und dafür sollte sich auch jede Messeleitung einsetzen.
Die Tema AG soll sich ein Beispiel nehmen an der Messe Freiburg, die auf der Baden Messe von 9.-17.9.2017 dieses Jahr erstmals ohne die Bundeswehr auskommen kann.
Es gehört keine Bundeswehr auf der Nacht der Unternehmen am 23. November 2017 in Stuttgart, auch keine Bundeswehr in den Schulen, Universitäten und Messen.
Dafür werde ich/wir weiter protestieren und ich mich nach bestem Wissen und Gewissen an bestehende Gesetze halten. Es wäre schade für unsere Demokratie, wenn dieses unter Strafe gestellt würde. Das Versammlungsrecht als ein zentrales Grundgesetz für das Gelingen einer Demokratie sollte über den Interessen von Firmen stehen, ansonsten wachen wir irgendwann in einem Staat auf, in dem ich als Kind am Wehrkundeunterricht teilnehmen muss, oder sogar in einem Staat, in dem mein Großvater als Deserteur erschossen wurde.
Ich danke ihnen für ihre Aufmerksamkeit.
Ein Kommentar
Pingback: Schulfrei für die Bundeswehr: Kampagnen-Newsletter 44, Juli 2017 | Friedensblog